Manuel Andrack an der Werra: Fluss Ahoi!
Die Werra ist eines der wichtigsten Fließgewässer im Freistaat Thüringen. Dabei wurde sie vielerorts durch salzige Abwässer der Kaliindustrie, durch Stauanlagen sowie Uferbefestigungen und ‑begradigungen stark beeinträchtigt. Im Rahmen des Projekts „Lebendige Flüsse“ hat sich hier viel getan. Davon hat sich Manuel Andrack ein Bild machen können: Zu Land, aber auch zu Wasser.
In der Theaterstadt Meiningen beginne ich eine aufregende Expedition auf der lebendigen Werra. Die erste Etappe werde ich mit meinem Kapitän Thomas Wey vom BUND Thüringen im Kanu zurücklegen. Wir fahren los, ich grüße mit lautem „Ahoi!“ eine Frau, die es sich an der Uferböschung gemütlich macht hat. Eine Bisamratte schleicht in eine Mauerlücke. Naturschützer Wey ist mäßig interessiert, ich finde das aufregend, ich habe noch nie eine Bisamratte gesehen. Die gesamte thüringische Werra ist die Heimat besonderer Flora-und-Fauna-Einwohner. Über die Pflanze „Flutender Wasser-Hahnenfuß“ gleiten wir mit dem Kanu und im Fluss schwimmen die Groppe und das Bachneunauge. Die Wasserqualität der Werra hat sich seit der Wende erheblich verbessert. Damals war die Werra eine Kloake, teilweise schwammen die Gedärme der Schlachterei in Meiningen in der Werra herum.
Die Werra erleben – mit dem Kanu, dem Rad oder zu Fuß
Wir fahren durch einen Galerie-Auwald, eine Art Wasserallee, hinter den Bäumen und Sträuchern am Uferrand fangen die Weiden und Äcker an. Dem Naturschutz gefällt dieser Pufferstreifen, dass also nicht direkt bis ans Ufer landwirtschaftlich gearbeitet wird. Weniger gefallen uns die vielen Plastiktüten, die seit dem letzten Werra-Hochwasser in den Zweigen über dem Wasser hängen.
Ich bin leicht beunruhigt, weil ich hinter der nächsten Biegung einen Wasserfall höre. Naturschützer Wey sagt: „Da sollten wir uns links halten, das könnte ein wenig haarig werden – das Wasserrauschen wundert mich aber sehr.“ Und dann sehe ich, woher der Lärm kommt. Ich sage mal so: Da, wo ich herkomme, in Nordrhein-Westfalen, würde man diese Stromschnelle als Niagarafall bezeichnen. Der Grund für die hohe Fließgeschwindigkeit: Die vielen Mäander der Werra wurden im 17. und 18. Jahrhundert begradigt. Der Biber ist wieder an die Werra gezogen, aber auch der Eisvogel lässt sich ab und an sehen. Auch heute – sensationell, die erste Eisvogel-Sichtung meines Lebens! Er saust über das Wasser, taucht unter, fliegt weiter. Thomas Wey jubelt: „Und er jagt sogar!“
Im Auwald fühlen sich Biber und Eisvolgel wohl
In Walldorf verlassen wir die Werra, geben das Kanu beim Kanuverleiher ab und gehen weiter auf dem Werraradweg, einem der zehn beliebtesten Radwege in Deutschland. Kurz vor Wasungen ist Naturschützer Wey ganz aufgeregt, er geht auf die Jagd nach zwei Gänsesägern, die sind noch nicht lange an der Werra heimisch. Äste knacken, Wey ist auf der Fotopirsch. Was so Naturschützer alles sehen. Ich hätte spontan gesagt: „Ach ja, zwei Vögel“, auf den zweiten Blick: „Okay, Enten.“
Am Ortseingang von Wasungen preist sich das Städtchen als Karnevals- und Fachwerkstadt. Karneval? Mitten in Thüringen? Aber hallo! Die Wasunger feiern schon die 483. Karnevalssession (mehr Tradition als Köln!) und von den 3.500 Einwohnern sind 2.000 aktiv im Karneval tätig. Es gibt Büttenabende, einen Lumpenball und natürlich Umzüge. Auch im Karneval spielt der Naturschutz eine Rolle – der Weißstorch war schon der Star einer Karnevalsgruppe. Der Karnevalsgruß von Wasungen ist nicht Helau und nicht Alaaf, sondern „Ahoi“ wegen der Flößertradition an der Werra. Ein dreifaches Ahoi auf Wasungen, Thüringen und die Werra.
Profil
Region Werra, Meiningen
Länge Wanderung ca. 7 km, Kanu ca. 6 km
Besonderer Hinweis Kanuverleih in Meiningen, Einstieg auf der Straße „Am Bielstein“. Bei der Strecke handelt es sich nicht um einen Rundweg. Es ist aber möglich, von Wasungen mit der Bahn zurück zum Ausgangspunkt zu gelangen. Die Fahrt dauert ca. 10 Minuten.
Webtipp schmalkalden-meiningen.bund.net
Google-Maps Startpunkt der Wanderung
Natur-Highlights
Mit einer Länge von 298 km ist die Werra einer der Hauptflüsse Thüringens. Er war lange Zeit Lebensader im wahrsten Sinne des Wortes, denn er lieferte Trinkwasser und Fisch für die Ernährung. Im Fluss wurde gebadet und gewaschen. Später trieb er die zahlreichen Mühlen an und Holzflöße aus dem Thüringer Wald wurden bis zum Meer transportiert. Bis ins 18. Jahrhundert hinein zogen sogar Lachse vom Meer kommend die klaren Bäche am Oberlauf des Flusses zum Laichen hinauf. Durch die zunehmende Industrialisierung jedoch wurde der Fluss stark beeinflusst, sodass die Wasserqualität abnahm. Im Rahmen des Projekts „Lebendige Flüsse“ arbeitet der BUND, der NABU und die DUH seit dem Jahr 2000 daran, die noch intakten Lebensräume zu schützen, Verständnis bei den Menschen zu entwickeln und weitere Verbesserungen anzuschieben.